5. Ausgestellt, 1996 – 2006

Reeperbahn

In der Clubszene sprach sich relativ schnell herum, dass man mich als Künstler einsetzen konnte. 1996 lernte ich die Park-Jungs kennen und malte nachts im Club auf der Reeperbahn. Aal´ und ich hatten alles geplant. Ich trug meinen roten Blaumann, Badelatschen, Theo, die Türsteherin, wusste Bescheid, ließ mich durch und ich ging runter und fing einfach an zu malen. Meine Acrylfarben, Pinsel und Eimer mit Wasser standen natürlich schon bereit. Ich pickte mir ein paar Freiwillige raus, die für mich still sitzen mussten. Erst malte ich beidseitig auf 180 cm hohe schmale Sperrholzplatten, später auf große Leinwände. Thomas musste schon mal die Taschenlampe halten, ansonsten haben die Jungs für gute Sets gesorgt. Für die Lounge unten habe ich noch eine ganze Reihe kleiner Kamasutra Bilder gemalt, die Aal unter die Glasscheiben auf die Tische legte und einen ziemlich großen indischen Elefantengott mit phosphoreszierenden Augen. Der wurde allerdings geklaut. Ein paar Dinge ließ ich mir bezahlen, ansonsten tobte ich mich aus. Meine Live Painting Aktionen verfeinerte ich und trat mit einer wirklich grellen Beleuchtung auf der Bühne des Schmidts Tivoli Theater auf. Meine beidseitig bemalten Bilder stellten wir 2000 in die Schaufenster des Erotic Art Museum in der Bernhard-Nocht-Straße auf und einige großformatige Götterbilder kamen in den Saal. Das war meine zweite Ausstellung mit dem Titel Mystik und Erotik.

Lange Straße

Mein praktisches Studium verlief quasi auf der Straße. 2002/3 malte ich weniger in Clubs, hatte mir dadurch jedoch einen gewissen Status erarbeitet, dass ich auch weiterhin nirgends Schlange stand oder großartig Getränke zahlen musste, dafür hatte ich eh kein Geld. Als Eventlabs Rangavillas eröffnete, war ich nicht nur jedes Mal dabei, sondern kam auch so langsam auf den Geschmack, konzeptionell zu arbeiten. Es hatte den Zauber von New York, weil tatsächlich nur ausgesuchte Leute reinkamen und dann schön in die Elbe sprangen. Der Club fand zweimal pro Woche im Kaispeicher A statt, genau in dem Gebäude, wo jetzt das Parkhaus der Elbphilharmonie ist. Schön ist das nicht, denn der alte Bananen-Speicher war riesig. Die Tanzfläche mit Tribüne war zum Teil der Rest eines Werbe-Settings, die Jungs haben sich noch einen Pool draußen auf der Ladefläche gegönnt. Die Stimmung war entsprechend mondän, classy und nicht glossy!

So langsam hatte ich den Verdacht, dass ich in Hamburg Fuß gefasst hatte. Ich war immer noch sehr eigen und weiterhin Solist. In dieser Szene musste ich mich dafür jedoch nicht rechtfertigen, jedenfalls nicht allzu oft. Ich mag eben Typen, mit denen ich wirklich etwas anfangen und dann auch auf die Beine stellen kann. Einer dieser Club Typen bemühte sich redlich und bot mir seine Wohnung an. Wir fassten einen Plan. Er stand im Frack und mit meinem Zylinder, den ich in New York ständig trug, auf dem Hein-Köllisch-Platz, um die Gäste zu empfangen, und ich wartete in seiner Ladenwohnung. Die Schlange, die Presse, die Garderobe, der DJ, VIP’s, Damen-Lounge, pinkelnde Männer, Bar, Kokser, alles war da und es war alles gemalt. Die Ladenwohnung kannte ich aus Wim Wenders Film „Der amerikanische Freund“. Bruno Ganz spielte den Rahmenbauer und der Großvater meines jetzigen Ex-Ehemannes den Arzt im Elbtunnel.

Ich hatte zuvor in der Siebdruckwerkstatt ca. hundert Herren-Taschentücher mit einem matt goldenen Schriftzug versehen. „b-present“ war das Label, Zeit und Treffpunkt für die Eröffnung war auf einem kleinen Streifen im Tuch zu lesen. Vielleicht war das Ganze nur eine Masche, mit mir Zeit zu verbringen, sich selbst als Künstler zu fühlen, oder mich zu verführen, ich weiß es bis heute nicht sicher. So richtig ernst hat er das nicht genommen, was zur Folge hatte, dass trotz meines immensen Einsatzes zu wenig Leute kamen. Er verschwand auch ständig irgendwo hin und das Koks war für ihn nicht nur eine Metapher. 
Heute schmunzle ich darüber, schade nur, dass bis auf die „pinkelnden Männer“ die Bilder nie wieder jemand zu Gesicht bekam. Timo Maas, den wir als DJ für „b-present“ ausgesucht hatten, habe ich ein Foto geschickt, bevor ich es übermalte. Die Schlange habe ich später auch übermalt, und so hängt Athene seit 2019 in meiner Studioküche.

Milchstraße

2003 hing am schwarzen Brett eine Liste von Designern für den Tag der offenen Tür. Ich dachte, wenn ich schon Dipl. Des. mache, könnte ich mir da auch mein zweites Standbein aufbauen. 1997 hatte ich mich an der Fachhochschule für Gestaltung beworben, weil ich vor allem Marketing lernen wollte. Es ist zwar möglich, von der Kunst zu leben, jedoch braucht man dazu mindestens einen Galeristen, einen Förderer, reiche Eltern, einen reichen Ehepartner, überhaupt Familie oder einfach Skills. Nach zwei Semestern Advertising Basics, meinte Wolfgang Schönholz: „Tina, Du musst unbedingt Texterin werden!“, worauf ich antwortete: „Wissen Sie, ich mag keine Reklame, ich gehe wieder malen!“.
Ich griff mir also dennoch die Liste und fuhr mit dem Fahrrad zu den Schmidt-Studios. Dort waren bereits einige Studenten und wir wurden herumgeführt. Chic, clean und komfortabel, an sehr viel mehr kann ich mich nicht erinnern. Bei den Goldenen Hirschen war ich auch vorher schon mal auf einer Party, dort arbeitete der Bruder einer Kommilitonin am Empfang, dann fand ich noch ein Büro am Baumwall, wo ich später tatsächlich für 20,–/h Praktikum machte. Vor allem landete ich am Tag der offenen Tür bei Marc Suxdorf.

In einer mit Kopfstein gepflasterten Einfahrt in der Milchstrasse stellte ich mein Fahrrad ab und ging durch eine schmale Treppe hinauf in den ersten Stock und klopfte an eine angelehnte Tür. Dort saß ein blondgelockter junger Typ und ein anderer im Anzug. “Hallo! Ist das hier das Suxdorf Studio? Es ist Tag der offenen Tür!”. Davon wussten die beiden nichts und: “Ja, ich bin Marc Suxdorf!”. Ich bat ihn, ein bisschen von sich zu erzählen, und wunderte mich offenkundig über sein Alter. Als ich sah, dass sie Duckstein betreuen, erwähnte ich Christian Rasche und dann wurde es Marc zu bunt. Er rief den Duckstein Kunden an und meinte, sie hätten so eine Verrückte im Büro, die behauptet, sie würde ihn kennen. Rasche sagte am Telefon. „Ach, die Oelker! Ja, die kann, was sie sagt!“. Christian kam wie ich aus NRW und wir kannten uns gut. Er arbeitete für die Holsten Brauerei inklusive Duckstein und belieferte auch die Park-Jungs. Dezember 2000 veranstalten wir in seiner Eppendorfer Wohnung ein Event. „24 brennt“ bestand aus 24 Bildern, die ich in Packpapier verpackt an die Wände hing. Rasche, Richter, Russel, die Park Jungs, Laura, Nina und die Mädels, mit denen ich in der Zeit ausging, hatte ich porträtiert. Dazu kamen einige andere Motive und eine Niete. Rasche war die Nummer 24 und zündete sich eine Zigarre an. Die Gäste öffneten dann zum Teil ihre eigenen Nummern und den ganzen Adventskalender.
Ich saß also bei Suxdorf und Marc entschied, dass ich bei ihm kein Praktikum machen könne, er würde mir aber gerne mal was zeigen. Ich ging mit den beiden also die Treppe wieder runter, über die Milchstraße, in den Hinterhof gegenüber, in ein dreistöckiges Haus. Ob ich hier eine Galerie machen könnte.

Im September 2003 eröffneten wir die Galerie „Durchgang“ mit dem „Schützenfest“. Der Hase und die Jagd waren längst Thema und so fragte ich einige Kollegen, ob sie mitmachen. Katrin Bethge kannte ich aus der Armgartstraße, sie machte mit dem Klangkünstler zusammen den Hof klar. Troi stellte mich einer asiatischen Fotografin vor. Sie selbst war ein schwarzer amerikanischer Hermaphrodit und mit Marcs Frau befreundet. Wir schnappten uns eine Angestellte aus der Postergalerie, einen 2 Meter großen jungen Arzt und zwei Schauspieler, fuhren in Richtung Sachsenwald an einen See und schossen Fotos. Das Erdgeschoss und die erste Etage füllte ich mit Jagd Bildern, die Fotos kamen in das obere Geschoss, Rasche sponserte das Bier und ich kam weder die Treppe hoch noch runter, weil in Null,Nix die Ausstellung proppenvoll war. Es war Fußball und es regnete irgendwann in Strömen. Katrins Lichtinstallation war zum Glück professionell gesichert und wer auf drei Etagen keinen trockenen Platz fand, stand mit Regenschirm im Hof. Es waren rund 300 Gäste. Am nächsten Tag saß ich selbst als Gast im Astra Turm, kurz bevor die Brauerei abgerissen werden sollte. Neben mir schwärmte jemand von der Ausstellung in der Milchstraße und fragte mich dann, ob ich auch auf der Eröffnung war.

Der Jagdschein war die Einladung und heute auch noch für manche meine Visitenkarte. Ein Bekannter von mir war Jäger und stellte uns den Tagesjagdschein zum Scannen zur Verfügung. Grafikdesigner gab es dafür im Haus, die Skills hatte ich noch nicht drauf. Insgesamt habe ich knapp zwei Jahre die Galerie geführt, ständig auf der Suche nach Künstlern und nach einem richtigen Galeristen. Ideen, Bilder und Konzepte hatte ich genug, so konnte ich einiges bieten. Meine erste Galerie-Durchgang-Partnerin Tanja aus der Postergalerie entließ ich nach einer Weile, sie hatte zu wenig Zeit und verdiente wie ich auch kaum einen Cent mit der Vermittlungsarbeit im Durchgang.

Im zweiten Jahr fragte ich eine Kommilitonin, ob sie mitarbeiten möchte. Zu zweit war es dann schon etwas entspannter. Sybille und ich holten so einige Künstler heran und waren dankbar, wenn sie wirklich aktiv mitmachten. 2004 lud ich die Professoren zur Diplom-Prüfung mit dem Hasen als Motiv ins Haus. Ich verbrachte viel Zeit in der Milchstraße.
Als einige Künstlerinnen aus der HfbK Rundum-Service erwarteten, kurz davor waren, meine Bilder abzuhängen, bemerkte ich, dass es für mich genug war. Ich wollte unter keinen Umständen zur Galeristin mutieren. Marcs Geschäftspartner machte zusätzlich Druck, weil er finanziellen Gewinn mit der Galerie machen wollte, und als meine Partnerin die Kasse unterm Arm hatte, merkte ich, dass mir die Sache langsam entglitt. Ich schaute mir das noch eine Weile an und gab den Schlüssel dann endgültig wieder ab. Der Durchgang war auch ein sanfter Übergang, denn es ging nach dem Diplom nahtlos weiter. Ich fiel nicht in ganz so kaltes Wasser.

2003 Jahr malte ich für den Tchibo Vorstand einige Bilder. Sitta hatte mich als Interne bei Scholz & Friends für den Auftrag vorgeschlagen. Sie und ihr damaliger Chef Marc Schwieger kamen zur Besprechung in die Milchstraße. Marc unterstütze mich während der Preisverhandlung, „Nimm mal ruhig mehr, Tina!“. So überschritt ich zum ersten Mal die 10 K Marke für ein Werk. Ich behielt das erstmal für mich und den Ball flach. Bei Scholz & Friends sprach es sich herum, dass ich den Wunsch von Peter Wolf, der zu Zeit Geschäftsführer von Tschibo war, den ersten Teil des Bildes in einer anderen Farbe zu malen, ganz selbstverständlich abwies. Es ist in der Werbebranche nicht üblich, dass man dem Kunden harsch widerspricht. Mein Argument war, dass man es mir als Künstler schon überlassen könne, wo ich welche Farben setzte, ansonsten müsse man eben über ein vollkommen neues Konzept verhandeln. Insgesamt nahm ich drei Aufträge von Tchibo an, sanierte mein Konto und hatte genug Kapazität für weitere Ausstellungen in der Milchstraße. In dem Jahr malte ich auch für die Dreier Werke in Dortmund mein erstes Modulbild. Meine damalige Vizefamilie aus Unna stellte den Kontakt her.

Valentinskamp

2004 bat ich zwei Schauspielstudenten Makler zu spielen. Über der Galerie Kulturreich im Gängeviertel gab es Leerstand. Mit den beiden Mädels der Galerie, einem Filmemacher, einer Künstlerin aus London, Schweiz und 4000 sollte die gemeinsame Ausstellung beworben werden, die nach dem Besichtigungstermin in der Fabrikhalle im Innenhof stattfand. Die Wände und Böden der beiden Altbau-Wohnungen markierte ich und hinterließ Spuren ehemaliger Kunstwerke, an deren Stelle wir nach dem Termin unsere Werke platzierten. Es kamen Interessenten, mit denen wir durch die Wohnungen gingen, wir spielten Besichtigung, filmten das Spektakel und klärten die Besucher im Anschluss auf. Sie waren Teil des Kunstwerks und kamen zur Eröffnung. Alles lief glatt, nur hatte niemand eine Genehmigung für den 5 Meter hohen Fabrikraum eingeholt, den ich zuvor mühselig weiß gestrichen hatte. Es war ein Desaster, wir mussten unsere eigene Ausstellung während der Eröffnung schließen und später räumen. Wir ließen uns so gut es ging nichts anmerken und verlagerten die Veranstaltung in die beiden Wohnungen. Es war schließlich alles so geplant. Am Tag darauf, als ich die Bilder ins Auto lud, wurde meine Tasche geklaut. Ich saß ohne Brille auf der Polizeiwache und ließ den Beamten das Formular ausfüllen. Ich war völlig erschöpft, pleite und glücklich, dass ich diesen Besichtigungstermin geschafft hatte.

Friedrichstraße

2005 folgten die Schwimmer. Mit sechzehn schwamm ich regelmäßig im Jahn Bad. Im Sommer war es ein Freibad mit Affenfelsen, im Winter bauten sie die Traglufthalle auf. Jupp, mein damaliger Knutsch-Schwarm, meinte, dass ich locker sechzehn Bahnen schaffe. Er war selbst eine Sportskanone, er ruderte, schwamm, lief schneller als ich und fuhr Rennrad. Abends bei Maria Plätschken, der ältesten Wirtin Hamm-Westfalens, verglichen wir unsere Oberschenkel. Der Bräunungsunterschied bis zum Rand der Rennradhose war entscheidend. Mein Hang, mich mit älteren und größeren Männern zu messen, war mein Antrieb, um nicht nur im Sport besser zu werden. Ich kaufte für die 750 DM, die ich von meinem Großvater bekam, ein Rennrad. Das steht heute noch gut erhalten in meinem Studio. Ich kann nur raten, wie viel tausende von Kilometern ich damit schon gefahren bin. Seit März 2024 lasse ich es noch stehen, weil ich durch ein Missgeschick mit der linken Fußschlaufe meinen Unterkiefer und mein Jochbein in der nacht zum 1. März gebrochen habe. Ich wurde operiert, 5 Teilkronen und 1 Implantat kommen noch. Mein Sports- und Kampfgeist bleibt natürlich erhalten.

Jupp spornte mich in meiner Teenagerzeit gut an, Jeffrey und ich haben uns auch gerne gemessen und in Hamburg war es Manuel Durain. Ihn lernte ich Anfang der 2000er kennen, wir schwammen und joggten manchmal gemeinsam. Manuel machte sowohl beim Marathon als auch beim Triathlon mit, also war ich motiviert. Meinen Ersten lief ich in 4.14 Studen. Kurz vor meinem Zweiten fragte ich Manuel, doch er wollte mit der Viva con Aqua Gruppe laufen. Also lief ich wieder alleine, wobei man in der Masse nicht wirklich alleine läuft. Zu Hause angekommen, etwa vier Nutella Brote später klingelte mein Telefon und Manuel sagte, dass ich 10 Minuten schneller war als er, worauf ich mich prächtig amüsierte, dass er mir fast 4 Stunden hinterhergelaufen war. Mit 3:49 unter den 50 besten meiner Altersklasse, war ich mit 35 dann rundum zufrieden mit dem Lauf und beließ es dabei.

Die Schwimmphase war also wieder aktiv. Diese Körperlichkeit übertrug ich fast eins zu eins in meine Bilder. Noch etwas gefangen vom Schulischen malte ich weiter figurativ und wechselte zumindest die Thematik. Statt Jagd und Hasen befasste ich mich mit der körperlichen sportlichen Ästhetik und malte eine ganze Reihe von Turmspringern und Schwimmern.
2005 lud mich Anton ein, die Schwimmer auszustellen. Hafenrand hieß seine Galerie in der Friedrichstraße auf dem Kiez, also mittendrin im Seeleute-Amüsement-Quartier. Meine Bilder waren teils figurativ, teils abstrakt, man könnte sagen, fast gefällig, angenehm zu betrachten. Wir verkauften ganz gut. Anton meinte während der Eröffnung, ich solle freundlicher zu den Gästen sein, die mir ständig Fragen stellten und mich ehrlich gesagt total überforderten. Ob das der Grund war oder nicht, kann ich nicht mit Gewissheit sagen. Er stellte seine Künstler in Hamburg und München aus und machte einen professionellen Eindruck, doch mit mir arbeitete er nicht weiter. Das machte mich etwas traurig. Die Galerie stellte ihren Betrieb 2011 ein.

In meiner Diplomprüfung machte mich Waschk auf Neo Rauch aufmerksam. Ich hatte gerade eine bestimmte Malweise für mich entwickelt, da erschien mir seine Malerei geradezu perfekt. Ich hätte sofort mit Malen aufhören können. Seine Technik war so ausgereift, dass ich diesen Weg nicht weiter gehen wollte. Es hieß für mich also wieder Lösung vom Gelernten und Neuerfindung. Die Schwimmer ließ ich dann auch sein, obwohl die wirklich gut und gerne gekauft wurden. Es sollte noch eine ganze Weile dauern, bis ich meine eigen Malerei fand.

Bernstorffstraße

2006 feierten wir „Hochzeit“ in der B-22. „Hoch-Zeit, The Weddingplan“ war der Titel meiner Ausstellung in der Bernstorffstraße 22. Skrollan, meine ehemalige Kommilitonin aus der Armgartstraße, hatte ihr Atelier in der Kunstgemeinschaft. Lothar, den Hauptmieter, hatte sie mir vorher schon mal vorgestellt. So kam es, dass wir den vorderen Showroom erstmal vollständig weiß strichen, innen wie außen. Ich war Anfang 30 und konnte bis dato keinen festen Freund nachweisen. Jeffrey in New York zählte nicht, er war quasi zu alt und auch zu weit weg. Während ich mir bis dahin sehr viele Beziehungsdramen anhören durfte und manche Verliebte nebenbei zusammenbrachte, wurde ich von einigen Ungläubigen als unvollständig eingestuft, für manche ist das heute noch so.

Dass ich keinen Freund vorweisen konnte und doch meist Solist war, irritierte. Um diesen Druck gründlich zu analysieren und ihn vielleicht auch aufzulösen, schuf ich große Ölbilder mit dem Motiv der Braut, die ich natürlich selbst war. Ich lief mit dem Oberteil meines selbstgenähten Brautkleides voran, führte die Besucher durch die Ausstellung und blieb im Kreis meiner auf dem Boden gemalten Zielscheibe stehen. Den unteren Teil des Kleides, also den Rock mit Reif-Ringen, zog ich langsam hoch und wurde dann spätestens als Braut erkannt. Im Hintergrund der Film „Wild Wedding“, die großformatigen Hochzeitsbilder, die Gäste inklusive Vater plus Freundin.

Im Film trug ich ein Brautkleid aus Polyester, was so richtig klassisch aussah, es kostete mich 35,– bei Ebay und erfüllte absolut seinen Zweck. Ich stand im Wald und wurde von zwei Spaziergängerinnen herzlich beglückwünscht. Es war weit und breit kein Bräutigam in Sicht, doch das machte nichts. Corinna Korth war in der Nähe, sie filmte bereits und hatte ihr eigenes Wolf Brautkleid. Es gibt im Film eine Szene, in der eine echte Braut in einem ähnlichen Kleid wie meins und ihr Bräutigam plus einen weiteren Herrn im Anzug an mir vorbeigehen. Im Anschluss sieht man Corinna und mich Hand in Hand im Kreise drehen. Die Hochzeitsgesellschaft ging wohl davon aus, dass wir bestellt waren, doch aus meiner Sicht war es genau umgekehrt.

Corinna lernte ich während einer Gruppenausstellung in Berlin kennen. 2006 zeigten wir unsere Werke bei “ball of fame” im Berliner Umspannwerk. Lara Brekenfeld aus Hamburg war Kuratorin und brachte eine Menge guter Leute zusammen. Corinna und ich hatten das gleiche Sternzeichen. Wir beschäftigten uns beide mit dem Tierischen, sie mit dem Wolf, ich mit dem Hasen und der Jagd und beide kennen wir Gunnar F. Gerlach gut, der seines Zeichens wie ich ein doppelter Schütze ist. Er sollte in den kommenden Jahren ein oft und gut gesehener Gast in der Hasenmanufaktur Hamburg sein. Auf der Rückfahrt in ihrem Bulli beschlossen wir unsere Kooperation „Wild Wedding“. Sie lud mich später auch als Gast zu ihrem Stipendium Abschluss Dinner in meiner alten Heimat in der Soester Börde ein. Dort hatte ich meinen Schlüsselmoment! Dazu komme ich gleich nochmal.
In der Bernstorffstraße zeigten wir unseren Film, ich wurde gerade zur Braut und performte mit Ananas und Telefon. Skrollan filmte das Ganze für ihren Feuerlöscher TV-Kanal und ich eröffnete dann auch tatsächlich mit meinem Vater den Tanz. Zumindest symbolisch gab ich ihm die Möglichkeit einer kurzweiligen Vaterrolle. Edwin wollte von Herzen Vater sein, doch mit seinen emotionalen Abspaltungen und dem ganzen Alkohol war er schlecht beraten. Vielleicht animiert oder überredet, heiratete er seine vollbusige Freundin aus dem Osten kurz nach meiner Ausstellung. Dann war alles dahin, ich wurde ganz dramatisch und heimlich enterbt, wobei eh nichts übrig blieb, weil er zu früh starb und die Kredite nicht abbezahlt waren.


Meine Ausstellung ergab noch einige weitere bemerkenswerte Ereignisse. Sitta kam auf mich zu, die ich zu Rangavilas Zeiten mit Folko verkuppelt hatte, und war stinksauer. Sie schämte sich für mich fremd, weil jeder wüsste, dass ich keinen Freund hätte, ich sollte doch bei meinen Leisten bleiben. So in der Art empörte sie sich über meine Performance. Am selben Abend ging Tobi vor mir auf die Knie und umwarb mich auf seine komplizierte Weise. Er wurde nicht konkret und ich hatte keine Lust, ihm seine Eroberungsversuche abzunehmen. Auf Knien ist eh niemand auf Augenhöhe. Ich blieb ganz gerne auf meinem Niveau. Mit Wenzman schnitt ich die Hochzeitstorte an, und froh über eine gelungene Ausstellungseröffnung vergaß ich auch erstmal die Beschimpfung einer damaligen Freundin. Wir hatten hin und wieder Kontakt, doch der Bruch wurde trotz oder vielleicht wegen meiner Angebote nie wirklich geheilt. Vielleicht bringen gewisse Entwicklungsschübe und Entfaltung solche Bekanntschaften und Freundschaften zum Ende. Aus Respekt der andersartigen Lebenseinstellung und des abweichenden Werte-Bewusstseins lasse ich alte Bekannte und selbst Verwandte einfach vollständig in Ruhe. Die Verwirrung, die ich stifte, ist sicherlich zu hoch, meine Art überfordernd, meine Person zu viel, meine Kunst zu teuer und für manche sogar unnötig bis egoistisch. Lange sollte man sich das nicht anhören, zustimmen schon mal gar nicht, denn wem hilft es, wenn man weniger ist.

Langewanneweg

Es folgte ein Heimspiel. Im November 2006 eröffnete ich mit meinem Vater und seiner Freundin meine Ausstellung in seiner Werkhalle. Etti musste die zum Teil zehn Meter hohe Wand weiß streichen lassen, da ich natürlich keine Bilder an gelbe Wände hänge, wenn es nicht Konzept ist. Wir brachten die großformatigen Ölbilder der Brautserie und die Schwimmerbilder mit dem Sprinter nach Hamm. Nico Rau und sein Comedypartner traten mit ihrer Risikogruppe Lightkultur auf, so versammelte sich auch meine Vizefamilie im Haus meines Vaters. Ein paar „Kollegen“ des örtlichen Kunstvereins kamen zur Eröffnung und beschlossen, ich hätte ganz bestimmte Stellen garantiert irgendwo anders abgemalt, denn wie sollte es anders sein, aus deren Sicht war ich viel zu jung, um solche komplexe Malerei hervorzubringen. Der Sammler aus Dortmund kam, sah und kaufte.

Einer meiner drei Onkel, die Karl-Heinz heißen, kam an einem Nachmittag aus Dortmund, schaute sich weniger meine Malerei an, sondern viel mehr sein eigenes Drama. Ähnlich war es dann auch zum Abschluss meines „Homerun“, so hieß die Ausstellung. Ettis Zukünftige hatte hinaus gebeten und saß mit den beiden Brüdern am Tresen des Eingangsbereichs der Werkhalle. Mein Patenonkel, der direkt neben mir saß, fing urplötzlich an, heftig zu weinen und fragte mich, während seine fetten Tränen kullerten, wie ich all das geschafft hätte. Es ging um die Misshandlungen, die die beiden als Kinder einstecken mussten und mein Vater zum Teil dann an mich beinahe ungefiltert weiter leitete. Ich sagte Etti, dass ich ihm schon längst vergeben hätte, er sollte das nun auch für sich selbst tun. Als ich aufstand, um ihn in den Arm zu nehmen, blieb er wie ein steifes Brett einfach so stehen. Ich kam gar nicht erst an ihn heran, zu groß der Schock, der Schmerz, den er auch mit dem vielen Alkohol nicht weit genug verdrängen konnte.

Es folgte das Schützenfest mit Corinna und Gunnar und weiteren Schützen oder Schütze Aszendenten in der Friese in Hamburg. 2007 ging es wieder nach Westfalen.

Weitere Kapitel folgen.