Wir feierten Schützenfest in der westfälischen Heimat. Corinna aus Hamburg war Gastgeberin. Wir waren allesamt Künstler und Schütze im Sonnenzeichen oder zumindest im Aszendenten. Corinna, mit der ich 2006 in Berlin ausstellte hatte an der HfbK studiert und wir drehten zusammen „Wild Wedding“. Zum Abschluß ihres Stipendiums im Kulturparlament Soest e.V. lud sie uns Kollegen zur Gruppenausstellung ein, wobei wir alle natürlich das Thema Jagd parat hatten. Im Anschluß sollten wir mit den ansässigen Sammlern zu Abend essen, wobei alle Tiermasken trugen. Das machte die Verköstigung leicht kompliziert, erzeugte allerdings ein gutes Bild. Für mich war es ein Heimspiel, da ich in Soest zur Schule ging und das Parlament lag auch noch genau in dem Dorf war, in dem ich damals mit dem Pferd durch den Wald ritt.
Es kam dazu, dass eine der Sammlerinnen ein Bild kaufte und ja, es war mein Hase, genauer ein Monatshase. Ich hatte bis dato einige Hasenportraits im Format 60 x 40 x 4,5 cm gemalt, allerdings noch nicht jeden Tag, sondern einen im Monat. Wir hatten alle sehr schöne komplexe Jagdbilder ausgestellt, doch mein einfacher Hase hatte es Frau Gephard angetan. Das führte am Abend dazu, dass, nachdem die Sammler gegangen waren, wir mit Jägermeister anstießen und ich dann ab einem gewissen Pegel auf die Schnapsidee kam, 1000 Hasen zu malen.
Das war in der Tat die Initilazündung von „1000 Hasen“, ich formuliierte es dazu auch noch als Wette und die Kollegen schüttelten mit den Köpfen. Bevor ich tatsächlich mit dem Projekt begann, kaufte Otmar Alt, der Künstler, der mich damals durch seine bloße Anwesenheit darauf brachte, dass man auch als Künstlerin dieser Welkt leben kann, den Junihasen. Sein Manager hatte mich 2007 zu einer Ausstellung im heimatlichern Kunstverein eingeladen. Wir füllten den Raum überwiegend mit großformatigen Bildern und es war eine durchaus kraftvolle Ausstellung, was ich auch erst im Nachhinein realisiere.
Im selben Jahr stellte ich in Hamburg aus, zuerst bei Tamo im Speicher und dann bei seiner Nachbarin Sike. Darunter befanden sich auch die restlichen Monatshasen. Kurz vorher hatte ich mein linkes Knie bei einem Fahrradsturz verletzt, dass man mich direkt operieren wollte. Doch ich besuchte dann solange Ärzte, bis ich jemanden fand, der mir die passende Schiene verschrieb und ich es dann so selbst heilen durfte. So stand ich mit Beinschiene und Krücken bei Windstärke 7 in der Speicherstadt und sah zu, wie meine großformatigen Bilder in der Luft segelten, während sie langsam vom Kran hochgezogen wurden.
Ich glaube, Tobi half, der im Grunde etwas mit meinem Sturz mental zu tun hatte, das war der, der 2006 selbst den Kniefall machte, mit ihm machte ich 2003 die „b present“ Ausstellung und verbrachste eine Woche auf Mallorca, mit ihm und mit Wanja. Doch nein, es lief nichts zwischen uns, wenngleich es es oft so aussah. Dazu vielleicht später…
Während der Ausstellung bei Silke im Speicher im obersten Stock mit bestem Ausblick und frisch renoviertem Fußboden hingen die übrig gebliebenen Monatshasen in einer Reihe. Wir reichten die Bilder über den Balkon von einem Speicher zum anderen. Nach dem Spektakel mit Wind und Wetter war das schon beinahe der Grund, warum ich da überhaupt nochmal ausstellte. Während wir also an einem Nachmittag oder frühen Abend mit einem Glas Weiswein in der Hand in der Ausstellung standen, Silke nochmal die Monatshasen bewunderte, sprach ich es dann nochmal laut aus: Ich male 1000 Hasen.
Am 1. Dezember 2007 malte ich tatsächlich den ersten Tageshasen: # 0001, Öl auf Leinwand, 60 x 40 x 4,5 cm. Es folgten nochmal zwei Soloausstellungen in Westfalen, und ich wurde zur Hasenmalerin. Ob ich das so gut fand, ist mal dahin gestellt, jedoch war das neue Kapitel längst aufgeschlagen.
Im Museum und Haus der Stadtgeschichte Kamen organisierte und kuratierte Eckard Wendler die Ausstellung „Animalia“. Wir stellten meine großen Bilder aus, die Brautbilder und die Europa, die durch ihre direkte sexuelle Aufladung natürllch für gewisse Reaktionen in der Provinz sorgte. Vor allem meine Verwandschaft kam nicht so gut damit klar. Tante Uli, Muttis ältere Schwester, kam mit Onkel Karl-Heinz, die einen bewussten Abstand zu Ettis (mein Vater) Schwester hielten, es jedoch in einem Raum miteinander aushielten. Als Uli vor der zwei Meter großen Europa stand, die von einem Stier geleckt wird, wurde sie kreidebleich. Ich setzte sie auf einen Stuhl im großen Saal, wo die Brautbilder sie beruhigen sollten, und gab ihr ein Glas Wasser. Sie verschwand kurz darauf und ich habe sie danach nie wieder getroffen oder von ihr gehört. Die Europa machte einigen zu schaffen. Selbst Eckards Lebensgefährtin, die zu der Zeit Waldorf-Mathematik-Lehrerin war, meinte auf der Rückfahrt: „Man könne sowas schließlich nicht öffentlich zeigen!“ Wir saßen im Auto; ich hätte mich sonst sehr schnell von ihr entfernt. Kaum auszumalen, wie so eine Haltung langfristig auf die Kunst wirkt.
Knapp neun Monate später kam dann die Ausstellung im Kunstverein Hamm-Westfalen. Der zahlte den Text von Beate Nass, die mir Susanne empfahl. Sie besuchte mich zuvor im Hamburger Studio und war zunächst nicht unbedingt von dem, was sie vorher im Netz sah, begeistert. Ihre Skepsis drehte sich, als ich die großen neuen Formate hervorholte. Sie erkannte meine Malerei sehr schnell und wir saßen eine Weile beim Prosecco am Küchentisch. Nico las ihren Text zur Eröffnung. Auf gewisse Art sollte dies wieder eine Familienzusammenführung werden. Denn natürlich lud ich auch meine Mutter ein, wenngleich sie wie ich einen weiteren Weg als mein Vater hatte. Ich meine mich zu erinnern, dass beide ohne Drama es miteinander in einem Raum aushielten. „Rakoto“, mein Abifreund und Erster mit 20, kam mit seiner Familie, und Lauras Vater hatte sein Restaurant Torino 250 Meter weiter; ich meine, dass ein paar von uns dann dort noch den Abend ausklingen ließen.
Es muss in dem Jahr gewesen sein, dass ich mit Winfried und Edwin am Tresen saß und das Gespräch führte, denn ich erinnere mich, dass kurz danach mein Vater starb. So war es. Ich kann, wie bei so vielen Dingen, niemanden um Bestätigung fragen, da die entsprechenden Kontakte entweder tot oder gekappt sind. Der Inhalt bleibt derselbe, die Zeit beeinflusst gewisse Dinge weniger. Ich erinnere in jedem Fall, wie ich mich bewusst von meinem Vater verabschiedete und dankend ablehnte, als er mir wieder anbot, doch bei ihm einzuziehen. Er war tief traurig, als ich ihm sagte, dass mein Leben längst in Hamburg stattfand. Trotz all der Brutalität, die ich durch ihn erfuhr, gab es auch Liebe und Verbundenheit, die ich in seinen Augen erkennen konnte, vielleicht war es aber auch einfach seine Bedürftigkeit, die ich nicht erfüllen wollte.
Als mich Winfried, der einzige Onkel, der nicht Karl-Heinz heißt, anrief, wusste ich bereits, dass Edwin sich verabschiedet hatte. Es war Mai 2008. Er hatte im Alter von 55 seinen dritten Herzinfarkt. Aus meiner Sicht ist er an gebrochenem Herzen gestorben. Und, ach ja, meine Antwort auf Winnies Frage, wie ich das alles geschafft habe, war: „Mit Kunst und viel Einsicht!“.
Einige Wochen zuvor lernte ich meinen zukünftigen Ehemann kennen. Ja, Ehemann! Es ergab sich, dass ich mit meiner Schwester Eva telefonierte – damals sprachen wir ab und an. Ich hatte gerade die ersten hundert Tageshasen gemalt, es war also Mitte März 2008, als ich ihrer Einladung nach Bremen folgte. Statt wie geplant jeden Tag einen Hasen zu malen, legte ich eine kurze Pause ein und fuhr zur Theaterpremiere mit anschließender Party in die Schwankhalle, wo Eva als Assistenz arbeitete. Juli Zeh war auch da, ihr Stück „Spieltrieb“ wurde aufgeführt. Einer der Schauspieler hing an einem Bein kopfüber und sprach seinen Text. Ich war kaum weniger beeindruckt, je länger ich ihn beobachtete. Den Inhalt des Stückes musste ich aus gesundheitlichen Gründen ignorieren. Der Blick dieses energiegeladenen blonden Typen traf mich dann nach der Aufführung. Im Saal nebenan, wo ich mit der Crew die Premiere feierte und abwechselnd mit Eva Musik auflegte, fragte ich, wie er hieß, und ging direkt auf ihn zu, um mit ihm zu tanzen. Er war im Grunde ziemlich scheu. Ich küsste ihn am Küchenfenster meiner Schwester bei Mondschein. Es war meine Initiative. Danach drehte sich das Blatt. Am nächsten Morgen kamen wir wieder mit Brötchen in Evas Küche. Sie hatte beim Frühstück die grandiose Idee, dass ich doch lieber mit einem anderen Kerl hätte knutschen sollen, da sie nun Interesse an Manuel hatte. Ich musste auch das ignorieren.
Manuel und ich trafen uns bei seinem Solo Auftritt auf dem Hamburger Berg wieder. Ich war mir nicht so sicher wie er, dass wir am nächsten Morgen wieder zusammen frühstücken. Ich liebte seine Glockenstimme. Mal besuchte ich ihn im Bremer Güterbahnhof, wo er eine großes beinahe unmöbliertes Zimmer mit Blick auf die Gleise im ersten Stock hatte, mal übernachtete er bei mir in Hamburg. Sein WG-Zimmer in Berlin lösten wir später auf und zogen mehr oder weniger aus pragmatischen Gründen zusammen, d.h. ewr ziog mit wenigen Möbeln bei mir ein.
Sommer 2008 war ich 34, er 28 und er war mein erster „fester Freund“. Obwohl wir beide Künstler waren, waren wir doch ein ungleiches Paar: Er Münchener und tatsächlich Ärzte-Lehrerkind die ich früher komplett verabscheute, ich aus dem Ruhrpott mit Eltern ohne akademischen Abschluß.
Ich mochte seine Mutter sehr, ebenso seine Geschwister, im Grunde die ganze Familie, die wir immer mal wieder in München besuchten. Seinen Geburtstag feierten wir Ende Juli in Rom. Er zerriss auf dramatische Art sein Hemd auf offener Straße, nachdem ich mit wildfremden Belgiern Smalltalk hielt. Meine ständige Kommunikationsfreude mit Fremden und möglichen Kunstinteressierten machte ihn wahnsinnig und mich ratlos. Wir konnten beide nicht das reguläre Paarprogramm fahren. Ich konnte und wollte mich nicht im Hintergrund halten, wenn er im Rampenlicht stand. Es war ein ständiger Kampf für ihn, denke ich, denn ich war in Hamburg in der Kulturszene bereits bekannt und durchaus ungeeignet, mich als Freundin von oder dahinter zu stellen. Selbst in München oder Berlin oder sonst wo kam das nicht infrage. Ich brauchte selbst ab und an jemanden, der mir den Rücken stärkt und zumindest an einem Strang zieht. 2009 drehten wir die Zu Tisch und auch die Stadthasen Kurzfilme, wenngleich zunächst nur mit einer kleinen Fotokamera. Manuel hatte das Filmschneiden in San Francisco gelernt. Er war so oder so ziemlich smart auch ohne Abitur, dass er eh auf einer arschbacke das locker abgesessen hätte. So then. Ich wollte weiter Kunst mit ihm machen, er sagte, wie seien doch schon zusammen. Das Heiraten half nicht, war dennoch eine interessante Unternehmung.
Weiter geht´s im Text noch. 2008/2009/2010 dann kam das Hafentor7, 2011 die Hochzeit…

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